Symposium 2: Teilhabe als Versprechen des Sozialstaats – ein gemeinsamer Auftrag von Sozial- und Bildungspolitik

Grafik: Schriftzug Symposiumtitel und verschiedene Hände, die gemeinsam etwas spielen

Zusammenfassung

In seinem Impulsvortrag „Bildungs- und Sozialstaatlichkeit als komplementäre Fundamente der Demokratie“ stellte Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin den Zusammenhang von Sozialstaatlichkeit, Bildung und Demokratie her. Der Grundgedanken der Demokratie baue zum einen auf der Fähigkeit, selbst zu bestimmen, wie wir leben wollen, und auf der Beurteilungs- und Zustimmungsfähigkeit (bezogen auf das gesellschaftliche Zusammenleben, der Berufswahl etc.) auf und zum anderen auf dem Recht des Individuums, nicht beschädigt zu werden und auch vor Mehrheiten geschützt zu werden. Hierbei stehe ein starker Gleichheits- und Freiheitsgedanke im Vordergrund, den der Vortragende als „Autorschaft des eigenen Lebens“ definiert. Bildungs- und Sozialstaatlichkeit hätten unter anderem das Ziel, Kinder dazu zu befähigen, im Laufe ihrer Entwicklung Autor/innen ihres Lebens zu werden.

Ausgehend von dem Kant‘schen Verständnis und dem Paradigma Humboldts des autonomen Individuums sei es die Aufgabe des Staates, den Zugang zu allgemeiner Bildung einer Gemeinschaft von Freien und Gleichen zur Verfügung zu stellen. Bildung habe hierbei im Sinne des humanistischen Bildungsbegriffs die Aufgabe, Respekt und Würde im Umgang miteinander erlebbar zu machen. Geraten Menschen in existentielle Krisen, in denen Gleichheit und Freiheit eingeschränkt seien, habe der Sozialstaat die Pflicht, die Transformation des Rechts auf Fürsorgeanspruch in die Fürsorgepflicht zu gewährleisten. Es handle sich bei dieser Transformation nicht um einen karitativen Akt, sondern um den Rechtsanspruch des Individuums, welcher es ihm ermöglicht, die Autorschaft über sein Leben zu erhalten.

Ausgehend von dem Impuls von Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin startete die Podiumsdiskussion mit der Frage nach der Situation der Umsetzung gerechter Bildungsteilhabe. Der Bildungsbegriff werde in unserer Gesellschaft gleichgesetzt mit akademischer Bildung, das Gymnasium werde als potenzieller Player gleichberechtigter Bildungsteilhabe bisher nicht in die Verantwortung genommen. Die Fokussierung von Bildungsproblemen werde in den Schulen abgebildet, die sozial benachteiligt sind und die schlechteste Personalsituation haben, so Prof. Dr. Marcel Helbig. U.a. würden die Aufgaben der Inklusion und der Integration von Kindern mit Migrationshintergrund überwiegend an nichtgymnasialen Schulen bewältigt. Zugleich sei der Anteil von Quereinsteiger/innen an diesen Schulen wesentlich höher. Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin und Uwe Lübking waren sich einig, dass es einer Aufwertung nichtakademischer Berufe und das falsche Verständnis von nichtgymnasialen/nichtakademischen sog. Bildungsverlierer/innen einer dringenden Korrektur bedarf. Bettina Bundszus fügte hinzu, dass hierbei auch die familiären Ressourcen der Kinder und jungen Menschen in den Blick genommen werden müssen und durch exzellent ausgebildete Pädagog/innen ergänzt und aufgefangen werden müssen. Sie wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht vor kurzem ein Recht auf Bildung aus der Verfassung hergeleitet habe. Es sei eine Umstrukturierung der Finanzierungssysteme notwendig, welche die meisten Ressourcen in die bedürftigsten Felder geben müssten. Die Leistung müsse auch bei den Familien ankommen, die ihre Rechte nicht kennen. Brigitte Döcker betonte hierbei, dass Leistung da ankommen müssten, wo sie hingehören, ein gutes Beispiel sei hierbei die Kindergrundsicherung.

Dem Dilemma der unterschiedlichen Systeme Bildung und Soziales und der damit verbundenen Spezialisierung von Verwaltungen ist laut Prof. Dr. Constanze Janda nur durch eine gesetzliche Kooperationsverpflichtung zu begegnen. Uwe Lübking nannte hier als gutes Beispiel die Entwicklung des Ganztagsbereiches an Schulen im Land Thüringen, wo auf Augenhöhe die notwendigen Vernetzungen zustande kommen. Bettina Bundszus ergänzte, dass auf diesem Weg die Kinder- und Jugendhilfe ins Schulgesetz mit aufgenommen werden müsse.

Prof. Dr. Marcel Helbig gab zu bedenken, dass es bisher keine Verstetigung von Förderleistungen gebe, keine Standortverbesserungen durch die Bereitstellung von befristeten Mitteln (die teilweise gar nicht abgerufen werden) und sich die Bildungsungleichheit durch die Ganztagsförderung an Grundschulen bisher nicht verbessert habe. Ein Interesse der KMK, an diesen Zuständen etwas zu verändern, sei nicht zu erkennen.

Die Diskutant/innen waren sich mit Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin einig, dass Bildungspolitik nur in enger Kooperation mit der Sozialpolitik Fehlentwicklungen im Bereich der Bildungsteilhabe beseitigen könne, um die Autorschaft freier und gleicher Menschen über ihr eigenes Leben in unserem Land zu gewährleisten.

Mitwirkende

Impuls

  • Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, Humanistischer Philosoph, Lehrender Ludwig-Maximilians-Universität in München


Moderation

  • Ines Morgenstern, Geschäftsführerin Organisationsberatungsinstitut Thüringen – ORBIT e.V.


Vortrag/Diskussion

  • Bettina Bundszus, Abteilungsleiterin Kinder und Jugend, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Berlin
  • Brigitte Döcker, Mitglied des Vorstandes, Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e. V. und Präsidiumsmitglied im Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V., Berlin
  • Prof. Dr. Marcel Helbig, Arbeitsbereichsleiter "Strukturen und Systeme" am Leibniz-Institut für Bildungsverläufe, Bamberg.
  • Prof. Dr. Constanze Janda, Professorin für Deutsches und Europäisches Sozialrecht an der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer
  • Uwe Lübking, Beigeordneter des Deutsche Städte- und Gemeindebundes, Berlin und Vizepräsident des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e. V.
  • Karin Prien, Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein und Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Kiel

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